Vielleicht die bedeutsamste Neuerung im Ort

„Das da ist ein Kabel für 20.000 Volt“, sagt Stefan Hansen und steigt über einen armdicken, schwarzen Strang. Zu Dutzenden, womöglich Hunderten liegen noch anzuschließende Verbindungen wie diese auf einer Baustelle in Stockum-Püschen in Schächten, Kanälen und bisweilen auch im Matsch. Hier errichtet die „Holzindustrie Hassel“ neben dem seit 1989 dort angesiedelten Sägewerk gerade ein Pelletwerk. Das dort in Kürze produzierte, umweltfreundliche Brennmaterial soll von den „Westerwälder Holzpellets“ (WWP) vertrieben werden.

Hinter den Holzvorräten des Sägewerks von Stefan Hansen ragt schon das neue Pelletwerk empor. Fotos: Schmalenbach

Wer die „Holzindustrie Hassel“ zuletzt vor vier oder fünf Jahren besucht hat, wird feststellen: Es hat sich eine Menge verändert, seit sie von Stefan Hansen und seinem Geschäftspartner Christian Zeinler gekauft worden ist: einige Erweiterungen im Sägewerk, deutlich mehr Trockenkammern für das Schnittholz. Wo noch vor einem Jahr Pferde auf der benachbarten Weide standen, wurde zwischenzeitlich ein zweieinhalb Hektar großes Areal für das neue Pelletwerk erschlossen, das in bemerkenswert kurzen 13 Monaten Bauzeit hochgezogen wird. In einer „ersten Stufe“ sollen dort 40.000 Tonnen im Jahr produziert werden.

Fünf bis sechs Tonnen in der Stunde wird die „Holzindustrie Hassel“ mit dieser Presse produzieren können, aus welcher derzeit noch zig Kabel ragen, die dereinst dem Brandschutz dienen und zum Beispiel etwaigen Funkenflug überwachen.

An vielen Stellen entdeckt man beispielsweise Fundamente, die eigentlich „zu lang“ aussehen – es ist bereits ein Zubau unter anderem einer zweiten Pelletpresse und ergänzender Silokapazitäten eingeplant (und derzeit in Genehmigung), so dass auf Dauer die doppelte Pelletmenge in Stockum- Püschen entstehen kann. Zehn Prozent der Jahresproduktion können vor Ort eingelagert werden, die Siloanlage ragt weithin sichtbar aus dem Gelände empor.

„Das hier ist die Wärmequelle, die den Bandtrockner versorgt, auf dem der nasse Holzspan vor dem Pressen getrocknet wird“, führt Stefan Hansen über die Baustelle. Die Wärme werde vollständig in einem Biomasseheizkraftwerk erzeugt, das allein mit eigener Biomasse befeuert werden wird.

All die Kabel müssen noch korrekt angeschlossen werden, soll die Produktion im April starten können, auch das dicke 20.000-Volt-Kabel rechts.

„Das ist schon schön“, nickt der neue Inhaber der „Sägeindustrie Hassel“, darauf angesprochen, dass dieses Pelletwerk komplett neu konzipiert und „am Reißbrett“ entstanden ist. „Das bedeutet auch, dass unsere Technik komplett neu und eine Technik der jüngsten Generation ist. Auch das ist ein Luxus – den sich allerdings jeder Maschinenhersteller sehr gut bezahlen lässt, das gehört ebenso zur Wahrheit“, erläutert Hansen. „Wir haben alles bei den jeweiligen Marktführern gekauft. Drücken wir mal die Daumen, dass alles klappt, wenn wir einschalten, aber an den Komponenten sollte es eigentlich nicht liegen.“

Der heutige Bahnhof Rotenhain hat seine zeitlichen Wurzeln im Jahr 1901, als im Oktober des Jahres die Reichsbahn ihre Haltestelle Rotenhain einrichtete. Die gleichnamige 480-Einwohner-Gemeinde trifft hier in der Gegenwart unmittelbar auf das von 630 Westerwäldern bewohnte Gebiet Stockum-Püschens. Dass genau an dieser Grenze die „Sägeindustrie Hassel“ zu finden ist, geht auf Fritz Hassel zurück. Der Landwirt erwarb Ende des 19. Jahrhunderts zunächst die „Michelbacher Mühle“, die bei Altenkirchen lag. Vier Jahre danach gründete er ein Sägewerk, das später an Gustav Hassel ging. Er expandierte nach dem Zweiten Weltkrieg erheblich, für das zerbombte Ruhrgebiet wurden schließlich enorme Mengen Holz benötigt. 1989 dann wurde der Betrieb neben den besagten Bahn-Haltepunkt in Rotenhain verlegt.

Im August 2021 unterzeichneten die jetzigen Eigentümer ihren Kaufvertrag. Dem Schritt seien zehn Jahre vorangegangen, in denen er die Idee gehabt habe: „Raus aus der wirklich erfolgreichen Beschäftigung im Finanzsektor, selbst etwas entwickeln. Man muss als Unternehmer niemanden fragen, keine Gremien einberufen, kann selbst entscheiden – großartig!“, schwärmt Stefan Hansen, wobei sein Schwärmen unwillkürlich und zweifelsohne unbeabsichtigt etwas hanseatisch „unterkühlt“ rüberkommt.

Denn Hansen stammt aus Hamburg, lebt dort im so schmucken wie teuren Stadtteil Eppendorf und ist die Woche über im Westerwald, um sich um das Sägewerk und die wahrhaft beeindruckende Baustelle zu kümmern. „Ich habe eigentlich schon überall auf der Welt gearbeitet“, erzählt er. Dass es nun der Westerwald geworden ist, sei eher Zufall, weil es mit dem Sägewerk dort ein passendes Unternehmen für sein Vorhaben als eigener Chef gegeben habe.

Von Haus aus ist Stefan Hansen Architekt, mit einem „MBA“, einem „Master of Business Administration“, hat er sich zusätzliches ökonomisches Wissen sowie Managementfähigkeiten draufgeschafft. Lange war der Hamburger anschließend in der Unternehmensberatung tätig, bei „McKinsey“ beschäftigt, hatte zuletzt einen Arbeitsplatz in der Finanzbranche in Zürich und Verantwortung für um die 1.000 Leute auf der ganzen Welt.

In Stockum-Püschen sind es momentan 90; als Stefan Hansen einstieg, hatte die „Holzindustrie Hassel“ etwa 30. „Am ersten Tag, als ich hier war, bin ich an die Planung des Pelletwerkes gegangen“, führt er aus.

Während der vorausgegangenen Monate hatten der neue Sägewerkchef und sein Freund und Kollege Christian Zeinler sich Woche für Woche gegenseitig je eine Firma vorgestellt, die für ihre Unternehmerpläne infrage kommen könnte. Dabei haben die beiden jetzigen geschäftsführenden Inhaber der „Holzindustrie Hassel“ durchaus genauso ganz andere Branchen in den Blick genommen, Tiernahrung etwa. Doch Holz, rühmt Stefan Hansen – und die hanseatische Kühle weicht nun einem freudigen Lächeln –, sei „ein faszinierendes Material!“ Als Architekt habe er sich bereits vor 20 Jahren mit Holzbau befasst. „Holz ist toll, der einzige nachwachsende Roh- und Baustoff!“

22 bis 24 LKW voll davon kommen täglich bei der „Holzindustrie Hassel“ an. Diese sägt daraus beispielsweise Latten oder Kanthölzer, trocknet oder hobelt das Holz. Gearbeitet wird nur auftragsbezogen, am Ende bleiben große Berge Späne zurück, die acht LKW am Tag füllen. Diese Nebenprodukte zweier Sägelinien in Stockum-Püschen für dickes wie dünnes Holz seien doch „viel zu schade, um daraus nichts zu machen“, betont Stefan Hansen. Darum habe von Anfang an festgestanden: „Damit produzieren wir umweltfreundliche Holzpellets.“

Es wurde bereits damit begonnen, auf dem Gelände einen Spänevorrat anzulegen, damit Rohstoff vorhanden ist, wenn die Presse eingeschaltet werden kann.

Zwischen der „Sägeindustrie Hassel“ sowie den WWP und ihrem Gründer Markus Mann gab es stets ein enges Verhältnis. Eine Zeitlang waren Ulf und sein Sohn Oliver Hassel wichtige Spänelieferanten für die WWP. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir mit Partnern, mit denen Familie Hassel gut kooperiert hat, ebenfalls wunderbar klarkommen“, zwinkert Stefan Hansen. So habe er auch Markus Mann kennengelernt, der mit seinem Wissen rund um die Pelletherstellung – schließlich errichtete der Energiepionier 2001 die erste großtechnische Pelletproduktion der Nation – beim Aufbau und Start in Stockum-Püschen hilft. Außerdem werden die WWP die Holzpellets, die Hansen und Zeinler in selber Güte herstellen wollen, vermarkten und mit der immer mehr auf Elektroantrieb umgestellten WWP-LKW-Flotte ausliefern.

Es gibt wirklich noch etliche Kabel – neben dem 20.000-Volt-„Draht“ –, die verlegt werden müssen, ehe in Rotenhain auch nur ein einziges Kilogramm Holzpellets gepresst werden kann. Doch Stefan Hansen strahlt überzeugende Zuversicht aus, dass alles bis dahin rechtzeitig fertig werden und der geplante Start des Pelletwerks im April klappen wird.

Der Steinbruch im örtlichen Basaltberg „Stöffel“ wurde 1890 eröffnet. Elektrisches Licht gibt es in Stockum-Püschen erst seit einem Jahrhundert. Die aktuelle Baustelle im zur Verbandsgemeinde Westerburg gehörenden Ort schafft die seither wohl bedeutsamste Neuerung dort.

Uwe Schmalenbach